Klassen der Wege im Fußwanderwegenetz am Beispiel des mittleren Alztales um Trostberg zwischen Feichten und Baumburg

Altbayern ist großenteils Bauernland, in dem der Anteil privater Grundstücke (auch zahlenmäßig) an der Gesamtfläche einer Wohngemeinde sehr hoch ist und dadurch bei nicht öffentlich gewidmeten Wegen viele Schwierigkeiten bei Verbesserungsabsichten an den Wegen zu erwarten sind.
In vielen nördlicheren Landschaftsteilen des Chiemgaus und seiner sich dort anschließenden Nach-bargebiete sind das die weißen Flecken fehlender Wanderwege. Da die meisten solcher Wege auf Privatgrund verlaufen, wollte die Stadtverwaltung Trostbergs hier keine Verantwortung übernehmen.
Folglich hatten sich engagierte Bürger aus Trostberg und seiner Umgebung zusammengetan, um sich der Sache anzunehmen, wie das viele Wandervereine des Deutschen Wanderverbandes schon seit über 100 Jahren tun. Weil das mittlere Alztal mit seinen begleitenden Höhen Wohnort vieler Men-schen ist und sich zugleich andere Landschaftsformen im Vergleich mit Alpen und Seen anbieten, ist dieser Landschaftsabschnitt für ein Muster-Wanderwegenetz-Projekt besonders gut geeignet . Durch Initiative des SB Trostberg wurde das Trostberger Kirchwegekonzept in die Gründungsargumentati-on der sich damals formierenden LEADER AG Traun-Alz-Salzach eingebracht und übernommen .
Ein gut funktionierendes Wanderwegenetz in der Region braucht deswegen die harmonische Ver-flechtung folgender drei Wegeklassen :
I. Gehwege: Selbstverständlich sind die einfachen immer benötigten Bürgersteige und Fußgängerbereiche, die innerorts alles verbinden. Über sie erreicht man in der Regel auch die nächsten Wegeklassen der Spazierwege (II) und Wanderwege (III).
II. Spazierwege dienen leichter Erholung, Erfrischung, einem einfachen Zeitvertreib. Sie sind bequeme, bei jedem Wetter von jedem begehbare oder oft auch mit Kinderwagen oder Rollstuhl oder Spielzeugen befahrbare Wege, wie man sie auch in Parkanlagen, an Flüssen oder Aussichtspunkten oder nahe besonderer Sehenswürdigkeiten findet. Sie sind oft auch barrierefrei und sollten nach ARV-Konzept nicht mit Wanderwegen (Klasse III) verwechselt werden.
III. Wanderwege dagegen sind mit Wegzeichen markierte Fußwege, die das Wandern auf interessanten Strecken oder zu attraktiven Zielen und häufig mit sportlichem Anspruch, durchgehend aber nicht barrierefrei ermöglichen. Es sind weitgehend naturbelassene Pfade, Wald- und Feldwege.
In diese Wegeklasse fallen heute fast nur noch Privatwanderwege, weil gewidmete Wege im Mus-terprojektgebiet des ARV in der Regel nicht mehr die wesentlichen Merkmale naturbelassener Wege haben. (Gewidmete Fußwege sind allesamt Wege der Klassen I und II, wenn sie nicht Erschlie-ßungsstraßen, Radwege usw. sind.) Als Privatwege liegen sie innerhalb der Vegetationsfläche (Wald und Landwirtschaft), die im Alz-Ruperti-Vereinsgebiet meist mehr als 80% der Bodenfläche insge-samt ausmacht .
Die aus der Klasse III ausgewählten Wanderwege beginnen auf Wegen der beiden ersten Wegeklas-sen (I und II). Sie können in den Außenbereichen weitgehend auf Wegweiser und andere Kosten erzeugende Merkmale verzichten. Sie sind einfach so wie sie gefunden wurden da und erzeugen unabhängig von Länge und Anzahl kaum Kosten (außer dem Markierungsaufwand, der durch die Vereine des Wanderverbandes Bayern meist privat organisiert ist). Im Gegenteil ist ihr alter Zustand viel mehr oft erhaltenswertes Kulturgut, wie bei den Kirchwegeresten in den Hangwäldern des Alzta-les, und sollte vor Begradigungen, Befestigungen, wenn möglich bewahrt werden.
Die Klassen I und II sind mit Erhaltungs- bzw. Herstellkosten und Sicherheits- und Haftungsverpflich-tungen verbunden. Sie können weitgehend nur von amtlichen Stellen verantwortet werden. Diese beiden Wegegruppen I und II fallen in den normalen von beiden Wanderwegekonzepten unabhängi-gen Aufgabenbereich einer jeden kommunalen Verwaltung.
Trostbergs Wege der Klasse II haben sich in den vergangenen ca. 15 Jahren sehr positiv entwickelt, nicht zuletzt wegen der wiederholten Forderungen und Aktionen des Seniorenbeirates. Vorgänger des ARV hatten z.B. durch ehrenamtliche Arbeitseinsätze und öffentliche Argumentation seit etwa 2008 für die Reaktivierung eines der heute schönsten und meistbesuchten Spazierwege, des soge-nannten Auenweges gesorgt. Etwas später wurde durch die Stadt ein parkartig am Berghang zwi-schen Krankenhaus und Innenstadt gelegenes Spazierwegenetz in Stand gesetzt. Diese beiden sind mit der historischen Innenstadt und mit den Spazierwegen beidseits der Alz perfekt verknüpft. Es führt nicht zu einem Hotspot irgendwo in der Landschaft, sondern verbessert Vielseitigkeit, Attraktivi-tät und Freizeitwert ganz Trostbergs für Bewohner und Gäste.
Die Wege der Klasse III mit ihrem hohen Erschließungswert für die Gesamtlandschaft der Region geraten dort, wo sie lediglich mit Wegezeichen markiert sind, durch Ihre neue Funktion im Wander-wegenetz in keine andere Rechtssituation als zuvor (siehe oben, Ministerialblatt vom 16.12.2020 ). Sie werden aber zum Prototyp für das Gesamtansehen einer großartigen Natur- und Kulturland-schaft.
Das aus 110 km Wegen bestehende ARV-Kirchwege-Netz, schlingt sich nach Außen in die gesamte Kulturlandschaft zwischen Baumburg und Feichten und verbindet alle eingeschlossenen Wohngebie-te mit einem gleichwertigen Netz von Fußwanderwegen, das so angelegt ist, dass es in alle Himmels-richtungen weitergewebt werden kann. Durch den über 80% hohen Flächenanteil für Wald und Feld (in der Grafik als „Vegetation“ bezeichnet) wird die Bedeutung der meist auf privatem Grund verlau-fenden Wege der Klasse III erst richtig deutlich. Sie haben die größte Ausdehnung und höchste Ver-bindungskraft für die benachbarten Gemeinden dieser Kleinregion des mittleren Alztales. Erst diese Art, eine Großregion Chiemgau, Rupertiwinkel und Berchtesgadener Land durch ein wirklich verbin-dendes Wanderwegenetz aus den vielen alten Wegen der Klasse III wachsen zu lassen, kann glaub-haftes Werben für die Bezeichnung „Wander-Region“ begründen.
Wer wandern will, wer mit seinen Kindern die unmittelbare Heimat durchstreifen will, wer sehen will, wie wir und die anderen hier leben, wer die Landschaft dazugehören lässt, der braucht Wanderwege überall hin (ARV-Kategorie III), Wege ohne Bevorzugung. Das aber kann nicht in einer Hauruck-Aktion mit Hilfe einiger Dienstleister der Touristik-Industrie erzwungen werden. Hier muss eine von allen Parteien, von allen Institutionen, also von der gesamten Gesellschaft getragene politische Auf-bauarbeit geleistet werden, um das oben beschriebene Ziel zu erreichen.

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